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Solidarität und Selbstbestimmung: Interview zur Pflege im Hospiz

Teil der PFlege im Hospiz: Der Gang zum Essenssaal

Das Hamburg Leuchtfeuer Hospiz wird in diesem Jahr 25 Jahre alt. Seit 1998 ist das Haus ein Leuchtfeuer für den menschenwürdigen Umgang mit schwerkranken und sterbenden Menschen. Bereits in den Anfangstagen dabei war Pfleger Thomas Schubert. Im Interview erzählt er von den Anfängen und seinem Blick auf die vergangenen 25 Jahre.

Thomas, du warst bereits zur Eröffnung Teil des Hospiz-Teams. Was ist dir aus der Gründungszeit des Hospizes in Erinnerung geblieben?

Ich erinnere, dass damals sehr viele Spenden unter Hamburger Bürger*innen, in der queeren Community und auch in der evangelischen Kirche gesammelt wurden. Der “Aids-Pastor” Rainer Jarchow und auch die Landesbischöfin Maria Jepsen haben sich ja sehr engagiert. Auch hier auf St. Pauli wurde sehr viel gesammelt und an einigen Stellen musste auch Überzeugungsarbeit geleistet werden, denn es waren nicht alle davon begeistert, ein Aids-Hospiz hier direkt in der Nachbarschaft zu haben.

Gibt es eine Begebenheit aus der ganz frühen Zeit, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist? Etwas, das auch charakteristisch ist für die damalige Zeit?

Gemeinsam mit meinem Team, dass dann hier als erstes Hospiz-Team anfangen würde, haben wir uns vor der Eröffnung hier im bereits eingerichteten Hospiz getroffen, gemeinsam geputzt und haben hier übernachtet in den Bewohner*innen-Zimmern. Um dieses Haus gewissermaßen schon einmal einzuweihen. Das war auch als Team ein total schöner Anlass, um hier in diesem Haus gemeinsam anzukommen. Am Tag, als das Haus eröffnet wurde, waren zwar noch keine Bewohner*innen da, aber die Nachbarschaft konnte vorbeikommen und sich das Haus anschauen. Und wir standen hier gemeinsam als Team und haben die Menschen empfangen.

Seit vielen Jahren im Hospiz-Team: Pfleger Thomas Schubert (c Nico Vogelsaenger)

Thomas Schubert beim politischen Gespräch zum Stand der Hospiz-Pflege im April 2022

Natürlich sind mir auch die ersten Bewohner*innen hier im Haus in Erinnerung geblieben und der erste Mensch, der hier bei uns verstorben ist. Er lag in Zimmer 1a und im Anschluss gab es für ihn unten im Saal noch eine große Trauerfeier. Das war auch für mich persönlich der erste Mensch, den ich habe versterben sehen. Als ich ins Zimmer trat, zu dem Verstorbenen, war das eine sehr beeindruckende und nachhaltige Erfahrung für mich.

Die Atmosphäre im Team war von ganz viel Enthusiasmus geprägt, von dem Wunsch, den Menschen, die hier einzogen, noch mal ein schönes Leben zu bereiten. Und ihnen auch ein lebenswertes, letztes Zuhause und eine möglichst gute Zeit zu bieten. Beziehungen aufzubauen und wirklich die ganze Persönlichkeit reinzugeben. Da haben Aktivismus und Solidarität aufgrund der Jahre zuvor, die von der Aids-Epidemie geprägt waren, eine große Rolle gespielt.

25 Jahre Hamburg Leuchtfeuer Hospiz: Was hat dieses Haus aus deiner Sicht so lang am Laufen gehalten?

Man kann schon sagen, dass wir früher ein diverseres Team waren, was die beruflichen und professionellen Hintergründe anging. Wir hatten damals eher einen Projekt-Charakter, während wir heute eine etablierte Institution sind. Gewisse Arbeitsweisen haben sich verändert und einiges würde man heute nicht mehr so machen. Es ist ein höheres Maß an Fachlichkeit da. Aber ich denke, und darüber bin ich sehr froh, dass wir immer noch versuchen die Fahne von Solidarität, Anerkennung von Unterschiedlichkeit, auch wenn die Diversität sich heute anders zeigt als damals.

Thomas im Gespräch mit einem Bewohner, bevor es zum Essen geht.

Thomas im Gespräch mit einem Bewohner, bevor es zum Essen geht. c Hamburg Leuchtfeuer

 

Und ich glaube diese Motivation, unabhängig davon wer hier einzieht und unabhängig davon, wer hier arbeitet, anzuerkennen, dass jeder Mensch anders und unterschiedlich ist, dass es Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen, Lebensläufen und Weltanschauungen gibt, dass man sie alle gleichwertig mit Würde und Respekt begleiten und beraten will und ihnen ermöglichen möchte, eine würdevolle und angenehme letzte Lebensphase zu haben. Das ist eine unserer großen Konstanten, neben unserem Anspruch bei Hamburg Leuchtfeuer, die Themen Tod und Sterben und ihren Unterschiedlichkeiten und mit allen Herausforderungen in die Gesellschaft zu tragen.

Gibt es Begegnungen, Menschen, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind?

Da gibt es wirklich viele. Spontan denke ich an eine junge Mutter, die bei uns war. Sie hatte einen Ehemann und einen kleinen Jungen, der war so ca. 5 Jahre alt. Seine Mutter konnte nicht mehr sprechen, hatte auch ein sehr verändertes Gesicht und konnte sich nur schreibend verständigen und mitteilen. Ihr kleiner Sohn hat mich wirklich sehr beeindruckt, weil er trotz seines jungen Alters so eine bestimmte Art hatte, mit dem bevorstehenden Tod der Mutter, den er vollständig begriffen hatte, umzugehen. Das hat mich emotional sehr beschäftigt. Einmal kletterte er ins Bett auf den Schoß seiner Mutter und sagte: “Mama, ich möchte nicht, dass du stirbst und mich verlässt. Aber wenn du sterben musst und zu den Sternen hochkletterst, dann ist das für mich in Ordnung.” Und das fand ich für so einen kleinen Jungen unglaublich beeindruckend und das hat mich sehr berührt. Ich wäre niemals davon ausgegangen, dass ein kleines Kind damit so umgehen, es so begreifen kann und vor allem seiner Mutter auch zugestehen kann, dass sie gehen darf.

Was ist aus deiner Sicht der Unterschied zwischen kurativer und palliativer Pflege?

In der palliativen Pflege habe ich immer noch mehr die Möglichkeit, auf die akuten Bedürfnisse der Bewohner*innen einzugehen. Wenn ich kurativ pflege, habe ich viel mehr Auflagen, die ich sinnvollerweise beachten muss. Wenn ich jemanden heilen möchte, dann gehört dazu viel öfter, die Patient*innen zu animieren, zu trinken, zu essen, aufzustehen, sich zu bewegen, die Medikamente zu nehmen, auch wenn es Schmerzen bereitet. Hier im Hospiz kann ich viel mehr darauf gucken, was der Mensch sich gerade wünscht und braucht. Ich schaue natürlich auch darauf, was medizinisch und pflegerisch sinnvoll ist. Aber ich kann mich mehr an dem spezifischen Bedürfnis des Menschen orientieren, als an seinem medizinischen Bedarf. Dadurch ermöglichen wir den Bewohner*innen so gut es geht ein unter den Umständen selbstbestimmtes Leben

Was braucht es für die nächsten 25 Jahre Hamburg Leuchtfeuer Hospiz?

Ich glaube, dass unser alter Grundsatz von Solidarität und Anerkennung von Vielfalt einen ganz großen Zusammenhalt bietet für so ein Haus wie unseres. Für alle offen zu sein und all das, was es in der Welt gibt, als in Ordnung anzuerkennen und es mit Respekt zu begleiten. Das ist für mich die Triebfeder schlechthin.

Das gesellschaftliche Eintreten für die Hospizarbeit ist seit jeher ein Anliegen von Hamburg Leuchtfeuer. Hier beim Besuch der Bundestagsabgeordneten Claudia Moll (SPD, Mitte) und Falko Droßmann (SPD, rechts) mit Melanie Fischer vom Hospiz. (c Nico Vogelsaenger)

Das gesellschaftliche Eintreten für die Hospizarbeit ist seit jeher ein Anliegen von Hamburg Leuchtfeuer. Hier beim Besuch der Bundestagsabgeordneten Claudia Moll (SPD, Mitte) und Falko Droßmann (SPD, rechts) mit Melanie Fischer vom Hospiz. (c Nico Vogelsaenger)

Von außen braucht es im Hinblick auf den Fachkräftemangel zunehmend ein attraktiv gestaltetes Arbeitsplatzangebot, um Menschen in den Pflegeberuf zu holen und sie dort zu halten. Und dazu braucht es unter anderem Budget und finanzielle Möglichkeiten, aber auch gelebte Anerkennung und Wertschätzung.

Was ist aus deiner Sicht der Unterschied zwischen kurativer und palliativer Pflege?

In der palliativen Pflege habe ich immer noch mehr die Möglichkeit, auf die akuten Bedürfnisse der Bewohner*innen einzugehen. Wenn ich kurativ pflege, habe ich viel mehr Auflagen, die ich sinnvollerweise beachten muss. Wenn ich jemanden heilen möchte, dann gehört dazu viel öfter, die Patient*innen dazu zu animieren zu trinken, zu essen, aufzustehen, sich zu bewegen, die Medikamente zu nehmen, auch wenn es Schmerzen bereitet. Hier im Hospiz kann ich viel mehr darauf gucken, was der Mensch sich wünscht und braucht. Ich schaue natürlich auch darauf, was medizinisch und pflegerisch sinnvoll ist. Aber ich kann mich mehr an dem spezifischen Bedürfnis des Menschen orientieren, als an seinem medizinischen Bedarf. Dadurch ermöglichen wir den Bewohner*innen so gut es geht ein unter den Umständen selbstbestimmtes Leben

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Über Hamburg Leuchtfeuer

Mit seinen vier gemeinnützigen Bereichen unterstützt Hamburg Leuchtfeuer schwer- und chronisch kranke sowie sterbende und trauernde Menschen und deren Zugehörige. Darüber hinaus trägt Hamburg Leuchtfeuer durch seine Öffentlichkeitsarbeit dazu bei, über die Themen Sterben, Krankheit, Tod und Trauer aufzuklären und sie wieder in die gesellschaftliche Mitte zurückzuführen.

Einer der gemeinnützigen Bereiche ist das 1998 eröffnete Hamburg Leuchtfeuer Hospiz auf St. Pauli. Hier finden Menschen mit schweren Erkrankungen den Raum für ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben mit ihrer Krankheit, für einen würdevollen Abschied sowie für Zugewandtheit und Fürsorge in der letzten Lebensphase. Ursprünglich als Aids-Hospiz konzipiert, steht das Haus allen schwerkranken Menschen offen – unabhängig vom Krankheitsbild. 2023 feiert das Hospiz sein 25-jähriges Bestehen. Dies wird mit diversen Events und Aktionen gefeiert.