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Das Ende einer langen Reise: Angekommen bei Festland

Angekommen bei Festland: Nadin Schindel in ihrer Küche

Nadin Schindel lebt seit anderthalb Jahren bei Festland – und erzählt in “Das Ende einer langen Reise” in eigenen Worten von ihrem neuen Leben in unserem Wohnprojekt für junge chronisch kranke Menschen. Im zweiten Teil berichtet sie von den vielen praktischen Möglichkeiten des Alltags, die Festland ihr bietet – und warum die neue Freiheit auch alte Wunden zutage treten lässt.

 

2. Teil: Außen Ruhe. Innen aufgewühlt.

(Teil 1 der Reihe können Sie hier lesen).

“Nach und nach sickert die Erkenntnis durch: Ich muss in dieser Wohnung keine Angst haben.

Doch nicht alles klappt. Meine Gardinen kann ich nicht selbst öffnen. Das ist nicht nur ein Problem, weil es in der Wohnung dann dunkel ist. Ich kann auch nicht richtig lüften, weil der Vorhang die Tür blockiert. Der Frust ist groß: Muss ich jetzt Termine zum Vorhang-Öffnen-Lassen machen? Meine Therapien finden inzwischen wieder richtig statt. Das ist ein großer Trost. Wir üben wie die Weltmeister. Und zusammen mit dem neuen Rollstuhl geht es dann doch: Geschafft! Ich kann die Vorhänge alleine und ohne Motor öffnen. Der Einbau eines Motors wäre möglich, aber kompliziert und teuer gewesen.

Christian Kaiser-Williams vom Festland-Team hilft Nadin Schindel in ihrer Wohnung.

Zupackend: Christian Kaiser-Williams vom Festland-Team hilft Nadin Schindel auch mal in ihrer Wohnung.

Eine andere große Herausforderung ist das WC. Hamburg Leuchtfeuer hat besondere WC-Becken bestellt, auf denen auch mein Spezial-Aufsatz montiert werden kann. Doch die Handwerksfirma hat andere Becken montiert. Der Aufsatz passt nicht. In all die Probleme mit der WC-Benutzung mischt sich Trost, denn Hamburg Leuchtfeuer lässt mich nicht allein. Sowohl das Festland-Team als auch die Geschäftsführung organisieren schnellstmögliche Lösung. Der Handwerksbetrieb sagt: „Ist doch egal. Klo ist Klo.“ Die Hamburg Leuchtfeuer-Mitarbeiter reagieren ebenso sachlich wie energisch: „Wir brauchen hier schnellstmöglich das WC-Becken, das wir bestellt haben, damit der Aufsatz montiert werden kann.“ So verstanden und unterstützt zu werden, tut gut. Zwei Tage später kommt das richtige Klo per Express und der Aufsatz wird montiert. Wunderbar!

Grundbedürfnisse sind nicht alles

Mir geht es gut wie noch nie: Alle meine Grundbedürfnisse sind gedeckt.

Und doch geht es mir nicht gut. Die Gewalt und Vernachlässigung im Elternhaus, die lange, kräftezehrende Suche nach einem passenden Wohnangebot: all das fordert jetzt seinen Tribut. Ängste, seelischer Schmerz und Traurigkeit brechen in heftigen Wellen über mich herein; jetzt, da ich äußerlich zur Ruhe komme.

So habe ich mir das nicht vorgestellt: Endlich habe ich die Möglichkeiten, die ich mir immer gewünscht habe – und jetzt fehlt die Kraft. Mein Akku ist leer. Das lässt sich nicht weginterpretieren. Und jetzt? Sich verkriechen und hoffen, dass es von allein besser wird?

Das große Kennenlernen im Kleinen

Bewohner*innen und Festland-Team gemeinsam im Gemeinschaftsraum

Bewohner*innen und Festland-Team gemeinsam im Gemeinschaftsraum

Die Pandemie macht sämtliche Feierlichkeiten unmöglich. Das große Kennenlernen der Festland-Bewohnenden auch. Und trotzdem: Stück für Stück lerne ich meine Nachbarn kennen. Mal bin ich auf der Suche nach einem Paket, das jemand für mich angenommen hat. Mal suche ich einen Nachbarn, für den ich ein Paket angenommen habe. Mal ist es eine unverhoffte Begegnung am Briefkasten, an der Haustür oder auf dem Weg zum Müllraum. Die breiten Flure mit den großen Fenstern helfen uns beim Lüften und Abstand halten. Die großen Eingangs- und Gemeinschaftsbereiche helfen auch. Überall im Haus ist Leben. Und richtig tolle Menschen sind hier! Menschen, die ich gerne kennen lernen möchte.

Belebende Gemeinschaft

Für mich ist das nicht selbstverständlich. Ich bin es gewohnt, in hellhörigen Umgebungen zu leben. Gemeinschaft finde ich dann eher belastend. Bei Festland ist das anders. Die Wohnräume sind sehr gut isoliert. Der bedarfsgerechte Rückzug ist kein Traum mehr.

Zunächst bin ich vorsichtig. Ob ich mit wenig Energie mit meinen Mitbewohnern in Kontakt kommen kann? Auch, wenn es mir nicht so gut geht?

Ich stelle fest: Das geht. Bei unseren kurzen Alltagsbegegnungen tausche ich mit einigen Kontaktdaten aus, damit wir uns digital begegnen können – ob per Mail, per SMS, per Briefkasten-Nachricht, per Telefon oder per Zoom. Auch eine WhatsApp-Gruppe entsteht. Besonders berührt mich, wie sehr meine Nachbarn auf mich achten. Ich habe kein WhatsApp. Irgend jemand denkt aber immer daran, mich auf anderem Weg zu informieren. Das ist schön.

Das ist die eine Wahrheit… “

 

Im dritten und letzten Teil von Nadins Geschichte berichtet sie von den Auswirkungen der Corona-Pandemie – und dem unerwartet humoristischen Potenzial von Tomaten.

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Mehr Infos zum Wohnprojekt Festland gibt es hier:

www.hamburg-leuchtfeuer.de/festland